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Aktivierung durch Beteiligung

Perspektiven für Boxberg

Wie funktioniert Strukturwandel von unten?
Der Strukturwandel in der Lausitz stellt alle Beteiligten vor enorme Herausforderungen. So offen auch noch Antworten auf viele Fragen sind, einig ist sich die Lausitz dabei, dass der Wandel von Beginn an mit den Leuten vor Ort gestaltet werden soll. Bürgerbeteiligung ist dafür das Zauberwort. Aber wie funktioniert das in der Fläche? Das Modellprojekt „Dialog mit Wirkung – Ortsentwicklung Boxberg/O.L.“ soll erste Antworten liefern. Ursprünglich geplant als kompakter Prozess bis Ende März 2020, verlängerte Corona den Verlauf. Erst fünf Monate später, Anfang September 2020, konnte mit dem zentralen Workshop das Herzstück der Beteiligung durchgeführt werden.

Ideenwerkstatt im Alten Gemeindehaus
Eingeladen hatte der federführende Verein „Perspektiven Boxberg/O.L.“, der auf seinem Weg von Prozessbegleitern aus Forst und Spremberg und der Zukunftswerkstatt Lausitz unterstützt wurde. Die Resonanz war überaus positiv. Über 40 Frauen und Männer aus vielen der 18 Ortsteile waren zu einer Ideenwerkstatt ins Alte Gemeindehaus gekommen. Bereits angedachte Projekte wurden weiter vertieft aber auch ganz neue Ideen eingebracht. 

Im Verlauf des Abends bildeten sich zwei Gruppen. Team 1 kümmerte sich um die langfristigen Vorhaben und nutzte die Gunst der Stunde, um viele Fragen loszuwerden, wie man mit Hilfe von Förderung Projekte umsetzen kann.  Dr. Romy Reinisch, Leiterin der Sächsischen Agentur für Strukturwandel (SAS) in Weißwasser berichtete, dass Projektanträge mit einer 90-prozentigen Förderquote gefördert werden können, wenn sie durch die Kommune eingereicht werden. Vorhaben von Unternehmen werden wahrscheinlich nur mit 30% gefördert. Gefördert werden Investitionen, nicht aber Personalkosten.  Boxbergs Bürgermeister Achim Junker bemängelte, dass der Gemeinde bei der aktuellen Haushaltslage sowohl das Geld für die 10% Eigenanteil als auch das nötige Personal für die Erarbeitung und Umsetzung der Förderprojekte fehlen. Der Wirtschaftsdezernent des Landkreises Görlitz, Thomas Rublack, will sich Gedanken machen, wie dieses Problem zu lösen ist. Inhaltlich ging es bei den „großen Vorhaben“ zum Beispiel um ein Medizinisches Versorgungszentrum, die touristische Infrastruktur am Bärwalder See, einschließlich der Zukunft des „Theaters am Ohr“, eine „smarte Region Boxberg“ aber auch um attraktives Wohnumfeld und ein Radwegenetz. Gruppe 2 kümmerte sich um die überschaubaren Vorhaben. Einen Schwerpunkt bildeten dabei Vorhaben, die die sehr große Gemeinde mit ihren 18 Ortsteilen zusammenschweißt. Rotierende Dorffeste könnten das Kennenlernen fördern. Ein digitaler Marktplatz soll Angebote und Veranstaltungen bündeln. Und damit Bewohner und Gäste gesund bleiben, wurde ein Trimm-dich-Pfad am Bärwalder See ins Gespräch gebracht. Diese und viele weitere Ideen werden nun von den Boxbergern weiterverfolgt.

Obwohl sich das Vorhaben länger streckte als geplant und die Workshopergebnisse in der Tiefe noch ausgewertet werden, lassen sich bereits jetzt wertvolle Schlussfolgerungen für Beteiligungsprozesse ziehen. Diese sind in einem Bericht der beauftragten Prozessbegleiter vom Kompetenzzentrum Forst und der Spremberger Kommunikationsagentur Füller & Krüger zusammengestellt. Damit eine bürgerschaftliche Beteiligung überhaupt zustande kommt, so die Autoren, brauche es den Impuls von innen. Es sei ungleich schwerer, einen Beteiligungsprozess von außen aufzusetzen. In Boxberg ging die Initiative von einer kleinen Gruppe Einwohnern aus, die sich für die Umsetzung professionelle Hilfe holten. Die Zukunftswerkstatt Lausitz unterstützte dieses Vorhaben, um anhand der Boxberger Erfahrungen Erkenntnisse für praktische Beteiligungsprojekte zu gewinnen. Städten und Gemeinden liegen somit praktische Empfehlungen vor, die sie in ihre Arbeit einfließen lassen können.

A und O ist die Vorbereitung
Wesentlicher Erfolgsfaktor ist eine präzise Vorarbeit. Welche konkreten Themen sollen mit Beteiligung der Bürger bearbeitet werden? Wie ist die öffentliche Meinung dazu? Ein solches Stimmungsbild lässt sich in kleineren Gemeinden über Interviews und Gespräche ermitteln. Für größere Orte und Regionen sind klassische Befragungen geeignet. Die Beteiligungsprozesse selbst sollten keine zu engen Zeitpläne aufstellen und Verzögerungen in Kauf nehmen, wenn sich dadurch die Qualität der Ergebnisse verbessert. Bei der Gewinnung von Mitwirkenden hilft eine Ansprache durch „Seinesgleichen“. Ob in Familie, unter Kollegen oder im Verein – zu Menschen aus dem eigenen sozialen Umfeld besteht zumeist mehr Vertrauen, als wenn die Aufrufe zur Beteiligung von einer amtlichen oder externen Stelle kommen. Die Bereitschaft zum Mitmachen steigt, wenn die Themen an der eigenen Lebenswirklichkeit ansetzen und es die positive Erwartung gibt, dass die Arbeitsergebnisse auch umgesetzt werden. „Das ist eine wichtige Erkenntnis“, so Heiko Jahn, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz GmbH. „Der Strukturwandel und dessen begleitende Kommunikation darf nicht theoretisch-akademisch oder aus Verwaltungsperspektive angegangen werden, sondern muss sich immer an der praktischen Lebenswelt der Leute vor Ort orientieren.“

Im flächenmäßig größten sächsischen Dorf sind die Erfolge eines intensiv vorbereiteten Beteiligungsprozesses zum Thema „Ortsentwicklung Boxberg/O.L.“ bereits sichtbar. Aus der zunächst losen „Boxberg Initiative“ wurde der Verein Perspektiven Boxberg O.L. e.V., die Corona-bedingte Zwangspause pragmatisch genutzt. Für einige Monate lag der Fokus auf Akuthilfe für Betroffene. Insbesondere Kleinstunternehmer, Gastronomen und Touristiker wurden unterstützt und über einen digitalen Stammtisch zusammengebracht. Dies sorgte für Vertrauen und weitere Mitstreiter. Noch vor dem zentralen Workshop für die Boxberger Bürgerschaft wurden erste Projekte erfolgreich auf den Weg gebracht, inklusive der nötigen Fördergelder. Auch dies führte dazu, dass die Motivation und die Bereitschaft weiterer Interessierter zum Mitmachen wuchs. Von Beginn an gab es ein vertrauensvolles Miteinander und einen Informationsaustausch mit der Gemeindeverwaltung. Es gibt vonseiten des Rathauses die Bestrebung, den Verein mit der Umsetzung von Projekten aus dem Strukturwandel zu betrauen. Damit würde die Beteiligung die nächste Stufe der aktiven Mitgestaltung erreichen. Insofern schauen derzeit viele Lausitzer Gemeinden gespannt nach Boxberg/O.L., welche weiteren Ergebnisse der Beteiligungsprozess in der Praxis bringt.

Link zum Projektbericht

Ideenwerkstatt am 2.September 2020

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